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Interview mit THE GREAT SEA (14.04.2025)

THE GREAT SEA

Auf seinem Debütalbum "Noble Art Of Desolation" widmet sich das nordrhein-westfälische Duo THE GREAT SEA dem atmosphärischen, landschaftsmalerischen Black Metal in der Tradition der Neunziger Jahre. Über dessen ungebrochene Faszinationskraft und einige andere Themen unterhielt ich mich mit JR, der vor allem als Trommler von Long Distance Calling (und Zodiac) bekannt sein dürfte. Gemeinsam mit SH (Ordeal & Plight) zeichnet er für die Kompositionen von THE GREAT SEA verantwortlich, die mit Hilfe einiger Gastmusiker aufgenommen wurden.

Hallo und herzlichen Glückwunsch zum Einstand! Ihr habt THE GREAT SEA anno 2022 ins Leben gerufen, also in der Zeit des Corona-Chaos. Hat Euch die Möglichkeit der Weltflucht zur Gründung bewogen oder steckte eine andere Motivation dahinter?

Die Pandemie hat nur sekundär mit der Gründung zu tun. Ich persönlich habe mich in dieser Zeit schon wieder verstärkt mit meinen musikalischen Wurzeln beschäftigt. Der Auslöser für die Gründung von THE GREAT SEA war allerdings ein langes Gespräch zu dem Thema "Kunst vom Künstler trennen". Zu diesem Zeitpunkt kannten SH und ich uns persönlich kaum. Wir waren beide in dem Podcast und haben viel über unsere musikalische Herkunft gesprochen. Gerade in den Neunzigern gab es ja durchaus streitbare Akteure, die aber mit ihrem musikalischen Schaffen die Szene und auch uns nachhaltig geprägt haben. Wir sind nach dem Gespräch weiterhin in Kontakt geblieben. SH hat mir dann damals empfohlen, in das Debut von Gràb reinzuhören. Ich habe es bei meiner morgendlichen Hunderunde im Wald gehört und ich hatte ein ähnliches Gefühl wie in den späten Neunzigern. Ich habe SH direkt angeschrieben und ihm gesagt: Lange nicht mehr ein so gutes Black-Metal-Album aus Deutschland gehört. Wenn du Lust hast, lass uns musikalisch etwas zusammen starten. Es ist eine sehr gute Freundschaft entstanden und wir haben ab dem Zeitpunkt angefangen, zu schreiben. Das Resultat liegt nun vor!

Wie seid Ihr auf den Namen THE GREAT SEA gekommen und was verbindet Ihr damit?

Ich finde die Suche nach einem Namen immer unheimlich schwierig. Oft findet man etwas Passendes, aber es gibt dann irgendwo in Südamerika bereits eine Band mit dem gleichen Namen. Wir brauchten einen Namen, der konzeptionell passt und eine gewisse Kraft zum Ausdruck bringt. Wasser ist das mächtigste Element auf unserem Planeten. Wir sind einst aus dem Meer gekrochen und werden wohl auch irgendwann wieder im Meer verschwinden. Das passte einfach sehr gut und klingt mächtig.

Bereits Monate bevor Ihr nun mit "No Peace Among Men" einen ersten Song vom Debütalbum veröffentlicht habt, gab es einige Ankündigungen und Fotos von THE GREAT SEA zu entdecken, bei denen Berge, Wälder und – Überraschung! – Gewässer das Erscheinungsbild prägen, und angesichts derer sich die Frage nach Euren Einflüssen kaum noch stellt. Ist Eure Musik also eine Art "Sprachrohr" für diese Landschaften und Naturkräfte, und Ihr seid "nur" die Mittelsmänner, die sie zum Klingen bringen? Inwiefern hallen z.B. Eindrücke vom Urlaub in Norwegen nach?

Das hast du eigentlich schon sehr gut beschrieben. Gerade in der heutigen Zeit, die bestimmt ist von digitalem Irrsinn und Schnelllebigkeit, ist die Natur noch mehr ein Rückzugsort. Wenn ich z.B. den ganzen Tag allein in den Bergen unterwegs bin, finde ich am besten zu mir selbst und kann wirklich abschalten. Städte stressen mich zunehmend. Norwegen war sehr beeindruckend und auch inspirierend. Ich habe in der Tat die letzten Songs auch auf der Reise gemischt. Somit ist auch etwas Norwegen auf der Platte zu finden, hehe. Allerdings waren dort auch viele Spots ziemlich überlaufen. Ich war das Jahr vorher, relativ weit nördlich in Schweden. Das war anders. Es gab wirklich zwei, drei Tage, wo wir einfach keine anderen Menschen getroffen haben.

Wir hatten uns erst kürzlich darüber ausgetauscht, dass der Anblick der Wälder in unserer nordrhein-westfälischen Heimat vielerorts Sorgen bereitet, und wir anerkennen müssen, dass sich seit unseren Kindertagen einiges geändert hat, leider auch zum Negativen. Wie wirken sich solche Beobachtungen und Wahrnehmungen auf Deine Kreativität bei THE GREAT SEA aus?

Sie erzeugen schon eine gewisse Wut bzw. eine Trauer. Der Mensch ist ein egoistisches, ignorantes und zerstörerisches Wesen. Da kann ich mich auch selbst nicht rausnehmen. Ich könnte ebenfalls noch bewusster handeln und mich mehr für den Schutz der Natur engagieren. Vielleicht können wir auch als Band etwas machen. Aber der Anfang ist definitiv, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass etwas nicht stimmt und sein eigenes Handeln zu hinterfragen. In einer Zeit, wo einstige Black-Metal-Helden in die Karibik fliegen, um auf einem Kreuzfahrtschiff Konzerte zu spielen, ist vermutlich aber Hopfen und Malz verloren.

Das Infoschreiben zum Album zitiert Stefan mit dem Satz "es ist ein seltsames und unglaublich schönes Gefühl, wenn man diese Melodien mit der Realität der unendlichen Kräfte der Natur verbindet". Habt Ihr Eure Songs also in den entsprechenden Umgebungen selbst "getestet", indem Ihr Demo-Aufnahmen beim Waldgang o.ä. gehört habt?

Auf jeden Fall. In dieser Umgebung funktioniert die Musik am besten. Es ist die beste Art der "Qualitätskontrolle". Es ist auch schön zu hören, wenn Leute mir zu "No Peace Among Men" schreiben, dass sie der Song an diese Orte bringt.

Ein Titel wie "The Water Remains" weckt sicher nicht nur bei mir Erinnerungen an überflutete Landstriche und die Erfahrung, mit welcher massiven Gewalt menschliche Existenzen weggeschwemmt werden können…

Wie ich eingangs bereits erwähnt habe, ist es ein erbarmungsloses Element, was unser Dasein irgendwann beenden wird.

Für die Aufnahmen der meisten Songs von "Noble Art Of Desolation" habt Ihr zwei Gastmusiker für Gesang und Bass engagiert und stellt klar, dass es sich bei THE GREAT SEA um Euch als Duo handelt – um flexibel zu bleiben und weil Ihr zu zweit gut harmoniert?

Wir haben all unsere Energie in die Band und das Konzept gesteckt, die Songs und Texte geschrieben und streben gleichzeitig Flexibilität an. Die beiden haben großartige Arbeit geleistet, und wir sind ihnen dankbar, dass sie dabei sind. Momentan stellen wir unser Live-Lineup zusammen, und es ist möglich, dass wir als Band in Zukunft wachsen. Aktuell denken wir aber, dass die Entscheidung, die Band als Duo zu starten, eine gute war.

Mit SG und Azathoth haben sich zwei Gastsänger an den Aufnahmen beteiligt, und die jeweiligen Songs klingen wie ihnen auf den Leib geschneidert, vor allem "Eden Unfolded" erinnert durchaus an eine von mir inniglich erinnerte SotM-Ära. Für Dich, Janosch, könnte sich das fast als "business as usual" anfühlen, da Ihr mit Long Distance Calling auch den einen oder anderen ausdrucksstarken Gastsänger begrüßen durftet – einen Song wie "The Maze" könnte ich mir prinzipiell auch als Duett von Åkerfeldt und Renkse vorstellen – und tolle Erfahrungen damit gemacht habt…

Zunächst einmal wissen wir es sehr zu schätzen, dass SG und Azathoth dabei sind. Wir hatten keine Liste mit Namen, die wir abgearbeitet haben. Wir haben zwei Songs geschrieben und hatten schon ihre Stimmen dazu im Kopf, bevor wir ihnen Demos geschickt haben – auch mit dem Risiko, ein "Nein" zu bekommen. Doch beide haben zugesagt. Beide sind so etwas wie Veteranen der deutschen Black-Metal-Szene, und wir sprechen hier nicht von irgendeiner Last-Episode-Band aus den späten Neunzigern. Sie haben herausragende Alben veröffentlicht. Es ging uns also auch darum, dass unsere Gäste die Platte qualitativ aufwerten – und das haben alle Beteiligten geschafft.

Die Zeilen "So we wander, weep, and silently contend / in a world where all is meant to end" sind wie dafür gemacht, um von Azathoth gegrollt zu werden. Mit westfälischem Bier werdet Ihr den ollen Bajuwaren auf keinen Fall hinterm Ofen hervorgelockt haben können, ergo müsst Ihr Euch den Vorwurf gefallen lassen, mit THE GREAT SEA musikalisch enorm rückwärtsgewandt zu agieren!

So ganz verstehe ich deine Frage nicht, aber mit Veltins haben wir ihn nicht überzeugt, hehe. Natürlich sind auch wir sehr geprägt vom Sound der Neunziger Jahre. Allerdings ist es eher ein nostalgischer Rückblick, der mit viel Rückenwind nach vorne gerichtet ist. Die Zeit von damals kann man nicht zurückholen. Deshalb macht es auch keinen Sinn, rückwärtsgewandt zu agieren.

Während es bei Sängern oft heißt, dass sie der Musik "einen Stempel aufdrücken", ist das von Schlagzeugern seltener zu lesen, dabei hat das Ausscheiden von Jörg Heemann bei SotM anno dazumal eine riesige Lücke für mich im Black Metal hinterlassen, da er einen ganz eigenen Stil hatte. Du unterstützt mit Deinem Stil die Atmosphäre und das Erzählerische der Musik, ohne in den Verdacht zu geraten, Dein Kit mit maschineller Präzision zu vermöbeln. Wie würdest Du selbst Deinen Stil beschreiben und welche Drummer inspirieren Dich?

Meinen Stil selbst zu beschreiben, finde ich gar nicht so einfach. Das können andere vermutlich besser. Aber mir ist ein gewisser Groove immer wichtiger, als den Song mit technischen Spielereien zu überfrachten. Im Black Metal finde ich das wichtig. Ich muss die Songs vorantreiben, aber auch wenn nötig, eine gewisse Schwere reinbringen. Ich bin auch kein Fan von Black Metal, der sich in den höchsten Geschwindigkeiten aufhält. Akzente sind allerdings ab und zu schon sehr hilfreich. Gerade wenn die Saiten eher monoton agieren, kann man als Schlagzeuger das Ganze damit etwas auflockern.

Black Metal und Post Rock können beide stark landschaftsmalerisch sein, was auch auf THE GREAT SEA zutrifft und sich in mancher Melodielinie spiegelt. Wie funktioniert da Eure interne Qualitätskontrolle?

Zunächst mal kann ich mit dem Begriff "Post" wenig anfangen. Ich würde THE GREAT SEA auch nicht dort einordnen. Meine andere Band hat auf das Songwriting hier überhaupt keinen Einfluss. Wo ich dir Recht gebe, ist, dass die Musik landschaftsmalerisch sein kann. Ich bin in vielen Bereichen meines Lebens ein sehr verkopfter Mensch. Teilweise vielleicht zu verkopft, aber wenn ich Musik schreibe, kommt es aus dem Bauch. Wenn es sich richtig anfühlt, kommt es auf die Platte. Da kann ich auch für meinen Bandkollegen sprechen!

Das Photo auf dem Album-Cover erinnert stark an "In The Nightside Eclipse" – sicher kein Zufall?

Diese Assoziation ist in der Tat Zufall. Natürlich ist das ein großartiges Album – auch wenn "Anthems…" mein Fave ist – und ein großartiges Cover. Wir waren allerdings auf der Suche nach einem Bild, das die Gewalt der Natur darstellt, ohne etwas zu nehmen, was man gefühlt schon tausend Mal gesehen hat. Ein Bekannter von mir ist Gewitterfotograf und bereist die ganze Welt, um spektakuläre Aufnahmen zu machen. Als ich das Foto gesehen und SH geschickt habe, war klar, dass wir es als Cover nehmen wollen. Jonas (Piontek) hat es uns dann glücklicherweise zur Verfügung gestellt.

Zuletzt persönlich gesehen haben wir uns auf dem Prophecy Fest in der Balver Höhle. Wäre das ein Traum, dort auch mal mit THE GREAT SEA zu spielen, oder welche anderen Orte schweben Euch vor?

Die Balver Höhle ist ein sehr spezieller Ort für Konzerte. Deshalb würden wir sicherlich nicht Nein sagen. Ich habe selbst schon zwei Mal mit anderen Bands dort gespielt. Man braucht einen erfahrenen Soundtechniker, dann haben dort alle Beteiligten ein besonderes Erlebnis. Wir hoffen, dass wir mit THE GREAT SEA besondere Konzerte an besonderen Orten spielen können und sobald unser Live-Lineup steht, werden wir unser Bestes geben, die Voraussetzung dafür zu schaffen.

Danke für Deine Zeit und alles Gute!

Danke für deinen Support!

Thor Joakimsson (Info)
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